„Musik war in den Weltreligionen durchaus umstritten“

Neue Reihe „Musik und Religion“ des Exzellenzclusters mit Vorträgen und Konzerten – Liederabend mit dem renommierten Bariton Benjamin Appl, orthodoxe Vesper und Konzert mit Islam-Musik – Forscher untersuchen religiöse Musik von der Antike bis heute

Pressemitteilung des Exzellenzclusters vom 18. April 2017

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© Staatsbibliothek zu Berlin – PK, Abteilung Historische Drucke, Signatur: Libri impr. rari qu. 189 (a)

Die Musik hat in den Weltreligionen von der Antike bis heute Wissenschaftlern zufolge eine zentrale, aber auch umstrittene Rolle gespielt. „In Ritualen dienten die verschiedensten Arten der Musik dem Gebet, dem Bekenntnis, der Gemeinschaft, dem religiösen Erleben und der Glaubensreflexion. Vor allem konnte die Musik emotionalisieren – was religiöse Gruppen oder Gelehrte zuweilen fürchteten und bekämpften, als Konkurrenz zu ihren Glaubenssätzen“, sagt der Islamwissenschaftler Prof. Dr. Thomas Bauer vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Uni Münster. An der Art der Musik ließen sich oft religiöse Strömungen erkennen: „In manchen Gemeinden des liberalen Judentums wird im Gottesdienst die Orgel gespielt, was für orthodoxe nicht in Frage kommt. Im Christentum wurde erst durch die Reformation das volkssprachliche Kirchenlied zu einem zentralen Element des kirchlichen Ritus. Im Islam prägen Musik und Tanz den Sufismus, fundamentalistische Strömungen dagegen lehnen sie als unzulässige Neuerung ab.“ Der Kulturwissenschaftler kündigte eine Ringvorlesung „Musik und Religion“ mit Vorträgen und Konzerten an. Der erste Vortrag ist am 25. April.

Das Spektrum der interdisziplinären Ringvorlesung am Exzellenzcluster „Religion und Politik“ reicht von der Musik in Judentum, Islam und Hinduismus über die christliche Kirchenmusik bis zum Klavierlied des 19. Jahrhunderts und der Popmusik der Gegenwart. Neben die Vorträge tritt das Erleben: an einem Liederabend mit dem renommierten Bariton Benjamin Appl, in einer orthodoxen Vesper und in einem Konzert mit Islam-Musik des Ensembles Ayangil aus Istanbul. Der Eintritt ist frei. An den Vorträgen beteiligt sind Musik-, Religions- und Islamwissenschaftler sowie Theologen und Soziologen. Sie untersuchen das vielschichtige Verhältnis von Musik und Religion seit der Antike bis heute, in Europa und Nordamerika, in Indien und im Nahen Osten.

„Ebenso vielfältig wie die religiösen Traditionen sind ihre klanglichen Elemente“, erläutert Musikwissenschaftler Dr. Dominik Höink. „Das reicht vom einstimmigen Gesang wie der Gregorianik bis zu hochartifiziellen mehrstimmigen Messkompositionen, vom Einsatz ritueller Instrumente, wie den Zimbeln bei den Kopten, bis zu melodischen Koran- oder Psalmen-Rezitationen im Islam oder Judentum.“ Auch im Hinduismus werden Sakralliteraturen liturgisch gestaltet, so Religionswissenschaftlerin Prof. Dr. Annette Wilke. „Sie werden auswendig gelernt, deklamiert, gesungen, getanzt und aufgeführt. Die Texte werden so zum Ereignis und schaffen gemeinsame Erfahrungsräume.“

Musik als Propagandainstrument

Jede Religion hat eine lange Musikgeschichte, wie Liturgiewissenschaftler Clemens Leonhard ausführt, die nicht ohne Auseinandersetzungen verlief. „Schon in der Antike diente Musik auch als Propagandainstrument. Etwa komponierte der West-Syrer Jakob von Sarug (gestorben 521) hymnische Texte, um die Gläubigen von den Lehren der ostsyrischen Tradition wegzulocken, so beklagen es die ostsyrischen Zeitgenossen. Der Ostsyrer Narsai von Nisibis komponierte dagegen Melodien zu aus seiner Sicht korrekten Texten seiner Tradition.“ Im späteren 4. Jahrhundert versuchte die Synode von Laodizäa, selbstgeschriebene Hymnen für die Liturgie zu verbieten und nur die theologische Welt der Psalmen zuzulassen. „Doch danach nahm die Produktion der Hymnen, die bis heute erhalten sind, erst richtig Fahrt auf.“

Weitere historische Beispiele: Als im 15. Jahrhundert weltliche Liedmelodien als Grundlage geistlicher Werke verwendet wurden, etwa in Guillaume Dufays Missa Se la face ay pale, rief dies Kritiker wie den Theologen und Musikgelehrten Conrad von Zabern auf den Plan, der 1474 in „De mode bene cantandi“ für den Choral und gegen die weltlichen „cantus firmi“ das Wort ergriff. Im 16. Jahrhundert dann, so Höink, befasste sich das Trienter Konzil mit der Kirchenmusik und mahnte mehr Verständlichkeit des Messtextes in mehrstimmigen Kompositionen an – und forderte den Ausschluss „alles Lasziven und Unreinen“. Im 19. Jahrhundert lehnte der Cäcilianismus, eine katholische kirchenmusikalische Restaurationsbewegung, eine zu theatralisch gewordene Kirchenmusik ab und wollte zurück zum Choralgesang ohne Instrumente.

„Nicht zuletzt war Musik auch ein wirkmächtiges Mittel zur Verbreitung kirchenkritischer Positionen“, so Höink. „Dies führte so weit, dass sich 1868 die Römische Inquisition mit Giuseppe Verdis Oper Don Carlo beschäftigte, da man die Sorge hatte, die Oper könne, so der Gutachter, ‚eine unsägliche Emotion, ein Ressentiment und einen Hass gegen die Inquisition und ihre Diener hervorrufen’.“ Heute lassen sich Höink zufolge regelrechte antireligiöse Motive in Pop, Hip-Hop und Heavy Metal finden. „Andererseits nutzen christliche Gruppen dieselben musikalischen Genres zur Verbreitung ihrer Überzeugungen, etwa die ‚Contemporary Christian music‘ in den USA.“

Götter und Engel musizieren

Wie hoch die Religionen die Musik in der Geschichte wertschätzten, zeigen viele bildliche Darstellungen und religiöse Texte, in denen gar die Götter selbst oder auch Engel musizieren, sagt Thomas Bauer. Zum vielschichtigen Verhältnis zu dieser Kunstgattung gehöre auch, dass Musik religiösen Inhalts im Verlauf der Geschichte den Sakralraum verließ: „Ein frühes Beispiel ist das deutsche Kunstlied des 19. Jahrhunderts, eine bürgerliche Gattung, zunächst für das heimische Wohnzimmer, später für den Konzertsaal.“ Die Lieder thematisieren nicht nur Liebe, Natur und Schicksal, sondern auch Religiöses wie das Ave Maria von Schubert, die Gellert-Lieder von Beethoven oder die Meditationen von Peter Cornelius über das Vaterunser. Die Lieder und auch Messen wurden zunehmend im säkularen Raum aufgeführt und erhielten so noch mehr Öffentlichkeit. „Schließlich wird Musik in der Moderne bisweilen selbst zur Religion, der Kunstgenuss zum Gebet und der säkulare Aufführungsort zum Tempel.“

Die Vorträge der Ringvorlesung sind vom 25. April bis 18. Juli 2017 dienstags um 18.15 Uhr im Hörsaal F2 des Fürstenberghauses am Domplatz 20-22 in Münster zu hören, die Konzerte und die Vesper in der benachbarten Petrikirche. Veranstalter der Reihe sind der Musikwissenschaftler Dr. Dominik Höink, die Islamwissenschaftler Prof. Dr. Thomas Bauer und Dr. Monika Springberg-Hinsen, der katholische Theologe und Liturgiewissenschaftler Prof. Dr. Clemens Leonhard und die Leiterin der Wissenschaftskommunikation am Exzellenzcluster, Viola van Melis. Den ersten Vortrag am 25. April hält der Religionssoziologe Prof. Dr. Detlef Pollack unter dem Titel „‚Begreifen, was uns ergreift‘. Das musikalische und das religiöse Erleben im Vergleich“. (vvm)